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So leben wir – Philippe & Philippe

Interior Design / Travel

Eine alte Finca auf Mallorca als wahr gewordener Wohntraum. Dass Philippe Salva und Philippe Gérardin seit 2008 dort leben, wo andere Urlaub machen, verdanken die beiden Franzosen ihrer Entschlussfreude. Dass ihr Blick allmorgendlich auf verwunschene fünf Hektar Land fällt, dem Zufall.

Mit geheimnisvoll grün verschleierter Fassade lugt das Haus von Philippe und Philippe durch das herrschaftliche, schmiedeeiserne Tor. Schon lange war ich neugierig auf diesen ungewöhnlichen Ort, hatte mir Philippe Salva, den ich an dieser Stelle einmal Philippe I. nenne – einfach weil ich ihn vor seinem Freund und Lebensgefährten Philippe II. kennengelernt habe –, doch schon viel von seinem Glücksgriff erzählt. Das war vor gut eineinhalb Jahren, anlässlich eines Design-Workshops, zu dem das mallorquinische Schuhlabel Camper mich eingeladen hatte. Philippe I., der bei Camper die internationale Presse betreut, sprach damals so enthusiastisch von seinem Haus, dass ich die Einladung, die er bei der nächsten Gelegenheit – einem beruflichen Aufenthalt in Palma de Mallorca – aussprach, erwartungsfroh annahm.

Philippe hatte nicht übertrieben: Das zweistöckige Steinhaus im mallorquinischen Stil, an dessen Vorderfront sich üppige Kletterpflanzen entlanghangeln, liegt in einem riesigen, parkähnlichen Anwesen. Ein von hohen Bäumen gesäumter Tennisplatz gehört genauso dazu wie ein großzügiger Swimmingpool, von dessen Terrasse aus man einen weiten Blick in die Landschaft genießt. Zitronen- und Olivenbäume, wilde Kräuter und weiße Callas säumen die Pfade, die sich durch das Anwesen schlängeln. Alte Natursteinmauern, hier und da eine umgefallene Amphore – ein Garten Eden. Und genau das hatte eine Freundin von Philippe I., die das Grundstück schon kannte, ihm auch versprochen: „Dieser Ort ist wie im Märchen – sehr speziell – du musst ihn dir ansehen.“ Und tatsächlich – der wohnungssuchende Philippe verliebte sich auf den ersten Blick.

Lange genug hatte der Franzose den Wunsch gehegt, in Spanien zu leben. Dass es jedoch in einem solchen Paradies sein würde, hätte er sich nicht träumen lassen. „Mein Vater ist Spanier, er kommt aus Alicante“, erklärt Philippe I. sein Faible für die Iberische Halbinsel. „Schon von Kindesbeinen an lag mir das Spanische sehr, obwohl wir zu Hause in Biarritz nur Französisch gesprochen haben.“ Sein Jurastudium absolvierte er in Bilbao, ging dann weiter nach Barcelona. Der Wehrdienst jedoch holte ihn nach Paris zurück, wo er, nach einem weiteren Studium der Kommunikation, für Dior und Lanvin arbeitete. „Ich wollte eigentlich nur ein Jahr in Frankreich bleiben, aber tatsächlich dauerte es zehn lange Jahre, bis ich endlich wieder einen Fuß auf spanischen Boden setzte“, berichtet der Mittvierziger von den verschlungenen Wegen seiner Karriere. „Dennoch, als ich 2000 nach Barcelona kam, wurde mir mit einem Mal klar: Ich will nach Spanien zurück.“ Bewerbungen bei einigen iberischen Unternehmen folgten. Das entscheidende Vorstellungsgespräch fand im Camper-Showroom statt.

Der lag ironischerweise gegenüber von seinem damaligen Arbeitgeber Lanvin. „Das Bewerbungsinterview war sehr kurz. Ich stand im Büro von Camper, den Eingang von Lanvin fest im Blick, und hatte plötzlich das Gefühl, mich an einem Scheidepunkt meines Lebens zu befinden.“ Was tatsächlich stimmte, auch wenn es weitere acht Jahre dauern sollte, bis sein Traum wirklich in Erfüllung ging. Denn Philippe wurde zwar von Camper engagiert, allerdings bot man ihm eine Stelle als französischer PR-Manager in Paris an. „Nun ja, ich war offen“, sagt er heute schulterzuckend. „Also nahm ich an.“ Das Schicksal sollte ihm diese Entscheidung danken: 2002 lernte Philippe I. in Paris seinen Namensvetter kennen und zog mit ihm drei Jahre später zusammen.

 

„Das Einzige, was uns manchmal fehlt, ist das kulturelle Leben von Paris.
Doch Palma ist nicht weit von hier – und hat zum Glück auch einiges zu bieten.“

 

Das Warten hatte sich gelohnt. Die Chance, Frankreich den Rücken zu kehren, bot sich schließlich 2008, und die beiden Philippes zögerten nicht lange. „Ein neuer Brand Director, der von Nike kam, hatte bei Camper angefangen und machte mir zwei sehr interessante Jobangebote. Eines davon, die Betreuung der internationalen Presse vom Camper-Headquarter in Inca aus, reizte mich sehr, aber ohne meinen Freund wollte ich Paris nicht verlassen.“ Hier meldet sich Philippe II., ruhig, groß und schlank, zu Wort: „Ich musste nicht lange überlegen. Philippe hatte ja schon so lange davon geträumt, in Spanien zu leben. Ich selbst bin in Paris geboren und habe mein halbes Leben dort verbracht. Ein Tapetenwechsel kam mir gerade recht.“ Doch die Chance barg auch Risiken. „Philippe arbeitete in Frankreich im sozialen Bereich, für ihn war es nicht leicht, hier auf Mallorca Arbeit zu finden“, wirft sein Namensvetter ein. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis Philippe II. einen Job in einem Heim für Behinderte angeboten bekam – just in dem Moment, als ihre Zeit im Paradies abzulaufen drohte. „Wir hatten bis dato immer einen Mitbewohner gehabt, der aber dann auszog. Auch wenn die Miete hier im Vergleich zu Paris natürlich günstiger ist, hätten wir das Haus mit nur einem Verdiener nicht halten können“, erinnert sich Philippe I. Doch nun konnten sie die Mietzahlungen zu zweit bestreiten und hatten zudem das ganze Haus für sich. „Das Einzige, was wir wirklich vermissten, waren unsere Freunde und unsere Familie. Nun, da wir das Haus allein bewohnten, hatten wir genügend Platz, um auch langfristig Gäste aufzunehmen. Das steigerte unsere Lebensqualität noch ein bisschen mehr.“
Die ist, den glücklichen, braun gebrannten Gesichtern nach zu urteilen, ohnehin sehr hoch. Das Licht, die Farben, das gute Essen, die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten – und das Balearenklima natürlich haben aus den beiden Philippes überzeugte Mallorquiner gemacht. „Manchmal fühlen wir uns hier wie im Dauerurlaub – oder wie Frührentner“, grinst Philippe I. „Man muss schon fast aufpassen, dass man nicht weltfremd wird.“ Zwar gehört das Grundstück mitsamt dem Tenniscourt und dem Pool den Vermietern, einem älteren Paar, aber das gute Verhältnis innerhalb der Mietgemeinschaft ermöglicht es Philippe und Philippe, diese Annehmlichkeiten zu nutzen. „Das Anwesen ist seit ewigen Zeiten in Familienbesitz unserer Vermieterin. Ihr Mann, ein Architekt aus Frankreich, hat das Seine dazu beigetragen, dass vier Häuser der ehemaligen Finca bewohnbar sind. Drei davon sind vermietet“, erläutern die beiden die hiesigen Eigentumsverhältnisse. Über die Einrichtung, eine eklektische Mischung aus alten mallorquinischen und modernen französischen Möbeln, klärt uns der kommunikative Philippe I. auf. „Das meiste haben wir tatsächlich schon so vorgefunden. Wir hatten ja in Paris eine winzig kleine Wohnung und dementsprechend nicht viele Einrichtungsgegenstände.“ Als kreativer und modeaffiner Mensch habe er aber dann doch das eine oder andere modifizieren wollen.

„Die Stühle am Esstisch haben wir mit einem alten algerischen Vorhangstoff aus den 50er-Jahren bezogen – das bunt gemusterte Material stammt noch aus der Zeit, als meine Eltern in Nordafrika lebten. Außerdem haben wir einen großen, runden Glastisch aus den 70ern mitgebracht, der in der Wohnung meiner Eltern in Biarritz stand.“ Das Wohnzimmer im ersten Stock des alten Steinhauses zeigt dann auch deutliche Spuren der Neuzeit, während die hübsch geflieste Küche unten eine ganz und gar mallorquinische Ausstrahlung hat. „Im ebenerdigen Wohn- und Kochbereich haben wir fast nichts verändert, nur einige unserer geliebten Lampen und Lichterketten hinzugefügt. Und diese deckenhohe Agavendolde aufgestellt, die zu Ostern und um die Weihnachtszeit festlich geschmückt wird.“ Ein Großteil des Lebens spielt sich jedoch draußen ab, im Sommer fast ausschließlich auf der unteren Terrasse mit einem schattenspendenden Dach aus Efeu, in den kühleren und feuchteren Monaten auch gerne auf dem großen Balkon in der ersten Etage, der sich an das Schlafzimmer anschließt.

Hier sitze ich dann auch am nächsten Morgen und lasse mich von der Sonne wärmen. Einzig die Touristenbomber, die hin und wieder das Grundstück überqueren, erinnern daran, dass wir auf einer Ferieninsel sind, die vom Massentourismus lebt – und dass mich eines dieser Flugzeuge in wenigen Stunden nach Hause bringen wird. „Nächstes Mal müsst ihr länger bleiben“, sagt Philippe II. noch zum Abschied. Nichts lieber als das.

 

The Weekender
Ausgabe 4
2012