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Die Medici der Mode

Fashion / Retail

Eine florentinische Familie mit geballtem Modewissen. Die Pecchiolis haben sich dank jahrzehntelanger Erfahrung, vielschichtiger Expertise und mannigfaltiger Talente in ihrer Heimatstadt ein Modeimperium aufgebaut.

 

Auf den kopfsteingepflasterten Straßen von Florenz tummeln sich, grob gesehen, zwei Arten von Touristen. Da sind zum einen die klassischen Städtereisenden: kulturbeflissene deutsche Studiosus-Freunde in Wandersandalen, die geduldig vor Kirchen und Museen Schlange stehen, mit Selfie-Sticks bewaffnete Asiaten auf Hochzeitsreise und amerikanische Kleinfamilien, die ihre Begeisterung für die Kunstschätze der Renaissance gerne lauthals mit aller Welt teilen.

Zu den Messewochen der Pitti Uomo im Januar und Juni tritt jedoch ein weiterer Typus auf den Plan: der Fashionbusiness-Traveller. Das illustre Völkchen, an seinem modischen Outfit sehr leicht zu erkennen, kommt halbjährlich angereist, um Ein- und Verkauf zu verrichten und die neuesten Trends auszumachen. Die Modetouris haben naturgemäß andere Interessen als die klassischen Kunstliebhaber und bewegen sich fernab der ausgetretenen Kulturpfade. Dennoch gibt es auch für sie Must-Sees. Fast könnte man von einer inoffiziellen Moderoute sprechen, die zur Trend- und Markenanalyse genutzt wird und für Designer und Einkäufer an den wichtigsten Läden der Stadt vorbeiführt.

Auf dieser Route liegen auch das Gerard, das Gerard Loft, das Flow und das Flow Run, und damit gleich vier Läden der alteingesessenen Familie Pecchioli. Nun sind Geschichten von Familienunternehmen in Italien keine Seltenheit. Traditionen werden hier gelebt, Firmen von Generation zu Generation weitervererbt. Dennoch sind die Pecchiolis etwas Besonderes. Denn alle vier Pecchioli-Kinder – drei Jungs und ein Mädchen – fanden ihren Weg ins Modebusiness, ohne je ein entsprechendes Studium absolviert zu haben. Und alle vier folgten stets ihren eigenen Impulsen. Heute arbeiten sie eng zusammen – und der anhaltende Erfolg gibt ihnen recht.

Ihren Anfang nimmt die Familiensaga im Jahr 1969. Paolo Pecchioli, damals 29 Jahre alt, eröffnet ein Einzelhandelsgeschäft auf der Via Calimala. Paolo arbeitet im Biz, seit er 13 Jahre alt ist, und hat so schon jede Menge Mode-Erfahrung. „Gerard lief vom ersten Tag an sehr gut. Ich brach alle Regeln, die es bis dato gegeben hatte“, erinnert sich der heute 77-Jährige. „Keiner der Florentiner Einzelhändler reiste ständig nach London und Paris, wie ich es tat.“ Was der umtriebige Paolo von dort mit nach Hause bringt, wird mit Begeisterung empfangen, und es beginnen goldene Jahre. 1979 eröffnet er eine Dependance in Mailand, 1980 folgen erst ein, bald noch drei weitere Shops in Tokio, die er gemeinsam mit einem Franchise-Partner betreibt. Auch die 1980er und 1990er Jahre bescheren ihm tiefschwarze Zahlen. 1981 zieht Gerard in die Via Vacchereccia, in den kommenden drei Jahrzehnten steht der Name dort für modische Innovation und einen stets frischen und mit großer Expertise kuratierten Mix aus den angesagtesten Marken. Diese Jahrzehnte festigen Paolo Pecchiolis Ruf als Modespezialist.

So findet Matteo, der älteste Sohn, 1992 auch einen leichten Einstieg ins Modebiz. Doch Matteo Pecchioli hat andere Pläne, als beim Vater anzuheuern. Er stürzt sich lieber in das damals aufkommende Monolabel-Geschäft und eröffnet den ersten Replay-Store in Florenz. Der erweist sich als sehr lukrativ, und so folgen zwei weitere Shop-Eröffnungen. Auch in Mailand und Siena wird Matteo für Replay aktiv. Doch der Wind dreht sich, und Matteo stößt einige der Läden wieder ab.

Währenddessen entpuppt sich Nicola, der zweitjüngste Pecchioli, als begnadeter Inneneinrichter. Er arbeitet ebenfalls bei Replay – und hegt den Traum vom eigenen Multibrandstore. Dieser wird 2007 wahr: Gemeinsam mit seiner Frau Gabriella und Bruder Matteo eröffnet Nicola das Flow, einen 250 Quadratmeter großen Store in einer ehemaligen Bank, der für die Pecchiolis zum Experimentierfeld wird. Für die Kunden ist Flow Inspiration pur. Die Einrichtung aus Nicolas Feder, der sich endlich einmal richtig austoben kann, wirkt anheimelnd, hippiesk und bohemien zugleich: Üppig wuchernde Pflanzen, farbige Teppiche und dicke Lederfauteuils vermitteln Großzügigkeit und verströmen dennoch Gemütlichkeit. Die Fashionistas verbringen Stunden hier, um die handverlesene Mischung aus High-Fashion-Brands und Newcomern in Augenschein zu nehmen. Zu Messezeiten geben sich die weltweit wichtigsten Einkäufer die Klinke in die Hand. Keiner möchte verpassen, welche Labels Nicola und Gabriella wieder aufgespürt haben.

Dabei geht es den beiden nicht um Markenkult. „Wir kaufen impulsiv ein“, verrät der 45-Jährige. „Und so macht es auch unsere Kundschaft.“ Labels wie Ulla Johnson, Péro, Jejia, Blaze, R13, Fortela, Blue Blue Japan oder Ten C werden also weniger um ihres Namens willen geordert. Nicola, der die Herrenkollektionen einkauft, und Gabriella, die für die Damen verantwortlich ist, picken mit sicherem Gespür Einzelteile heraus und generieren so einen ganz individuellen Flow-Look, der sich zwischen Boho-Chic, Preppy-Eleganz und Sporty-Casual bewegt.

Auch Tommaso, der zweitälteste der Pecchioli-Brüder, beweist in Sachen Mode ein glückliches Händchen. Im gehört das Gerard Loft an der Via dei Pecori. Der Gerard-Ableger steht ebenfalls für einen sehr modischen, aber auch lässigen Ansatz. Gerade ist Tommaso fünfzig geworden, man sieht dem smarten Ladeninhaber die Jahre aber nicht an. Er wirkt entspannt, lacht viel. Dennoch beurteilt er den Markt realistisch: „In den letzten fünf Jahren ist es schwieriger geworden, einen unabhängigen Einzelhandel zu führen. Die Kunden sind einfach extrem gut informiert. Sie wissen genau, was sie wollen. Das Hinführen zu Marken und Looks ist eigentlich gar nicht mehr unsere Aufgabe – die Herausforderung besteht vielmehr darin, die gehypten Produkte vorrätig zu haben, was bei einem Einkauf, der nach wie vor sechs bis acht Monate im Vorfeld stattfindet, ein risikoreiches Unterfangen ist.“

Daher schätzt Tommaso sich glücklich, eine große internationale Klientel zu seinen Kunden zu zählen, die wegen seines Portfolios an italienischen Marken zu ihm kommt. Stars wie Steven Spielberg, Lenny Kravitz und Kylie Minogue gehören ebenso dazu wie die Großen der Modeszene, darunter Renzo Rosso, Adriano Goldschmied, Katherine Hamnet und Elio Fiorucci. Im Gerard Loft ist man ständig Bewegung, denn auch die junge Zielgruppe soll hier unbedingt zu ihrem Recht kommen. „Stone Island ist zum Beispiel ein sehr wichtiges Label für uns. Sie haben es geschafft, sich durch Kooperationen mit Supreme und Nike stetig zu verjüngen. Co-Branding-Produkte sind auch ein Geheimnis unseres Erfolgs: Wir haben mit Firmen wie Levi’s, Lee, Napapijri, Sebago, Meltin’Pot, European Culture, Uniform und Evisu zusammengearbeitet.“ Das Gerard Loft hat sich nicht zuletzt dank Tommasos Pioniergeist in Florenz einen Namen gemacht: „Wir waren der erste Shop weltweit, der Evisu verkauft hat.“

Seinen Laden hat Tommaso seit der Eröffnung im Jahr 1998 stark vergrößert. Aus ursprünglich 80 Quadratmetern Fläche wurden im Laufe der Jahre 400 Quadratmeter. Für die Einrichtung zeichnet teils der Interior Designer Nicola Frignani vom Mailänder Wunderkammer Studio verantwortlich, die Erweiterungen gestaltet Tommaso selbst. Auch er hat bereits als 13-Jähriger im elterlichen Laden gearbeitet. Nach dem Schulabschluss zieht es ihn für ein halbes Jahr nach London, er möchte dort sein Englisch verbessern. Danach begibt er sich auf Reisen. Die enden schließlich in Asien, genauer gesagt in Japan, wo Tommaso sich um die Gerard-Franchise-Shops kümmert. Doch irgendwann siegt das Heimweh: „Wenn du in Italien geboren bist, willst du irgendwann zurück“, lacht er.

Zurück, das heißt zwar zurück in den Schoß der Familie, doch Tommaso hat in Japan viel gesehen und will seine eigene Vision von einem Fashionstore verwirklichen. Fashionable, sporty, casual – so unangestrengt lässig und dennoch gut gekleidet, wie die Welt die Italiener kennt, so ist auch der Look, den er im Loft fortan propagiert. In der Womenswear sind Brands wie Forte Forte, Erika Cavallini, Parosh, Karl Lagerfeld, Circus Hotel und Faliero Sarti hochgeschätzt, bei den Männern Roberto Collina, Circolo 1901, Briglia 1949, PT01, Aglini, Edwin und ebenStone Island. Dieses Jahr wird Tommaso das 20-jährige Bestehen feiern, doch etwas ist gleich geblieben: Seine Reiselust ist nicht versiegt. Der Einkauf führt ihn bis heute oft ins Ausland, bisweilen sogar um die halbe Welt. Um für seine Kunden neue Brands aufzuspüren, besucht er nicht nur die Mailänder Messen White und Super. Tommaso reist auch nach Berlin, Paris, Kopenhagen und Las Vegas.

Und das Nesthäkchen? Giulia, der jüngste Pecchioli-Spross, ist das Papakind des Clans. Von 2000 bis 2013 obliegt ihr die spannende Aufgabe, um die Welt zu jetten und den Einkauf für das Geschäft ihres Vaters zu managen. Giulia lernt viel über Mode – so viel, dass in ihr der Wunsch keimt, eine eigene Kollektion ins Leben zu rufen. Das bei ihrem Vater durchzusetzen, ist kein leichtes Unterfangen. Schließlich überzeugt sie ihn doch. Und gewinnt ihn sogar als Designer für die aus Hemden und Strick bestehende Kollektion, die den Namen seines Ladens trägt: Gerard.

Schon früher hatte Paolo als Freelancer für verschiedene italienische Brands gearbeitet, nun sitzt er wieder am Zeichentisch. Italienische, indische und japanische Stoffe, darunter solche mit exklusiv für Gerard entworfenen Drucken, sind die Basis der Kollektion. Alle Hemden, die in den kleinen Größen durchaus auch gerne von Frauen gekauft werden, wandern zunächst in die Waschmaschine und werden ungebügelt angeboten. Formelle oder steife Kleidung ist nämlich so gar nicht das Ding des Vater-Tochter-Gespanns. Für den Launch der eigenen Kollektion wird 2013 auch ein neues Ladenlokal an der Piazza Strozzi gefunden und aufwändig umgestaltet. Eine Aufgabe, bei der Nicola wieder glänzt: Er entwirft gemeinsam mit seiner Cousine Francesca Lotti das Interieur mit den wild wuchernden handgemalten Blumen.

Und der Unternehmergeist der Pecchiolis kommt nicht zur Ruhe: 2016 eröffnen Matteo, Nicola und Gabriella einen 400 Quadratmeter großen Sneakerstore, das Flow Run, an der hübschen Piazza degli Strozzi. Die Geschichte wird also fortgeschrieben, und auch um den Nachwuchs ist es gut bestellt. Tommasos älteste Tochter Allegra ist gerade 18 geworden und hat die Mode ebenfalls im Blut. Ihrem Vater könnte sie wohl keine größere Freude machen, als in drei oder vier Jahren mit ins Familybusiness einzusteigen. Gleiches gilt für Matteo: Er wünscht sich, dass seine Kinder – Leonardo, 19, Lorenzo, 16, und Eva, 14, – zunächst ins Ausland gehen, um dort zu studieren und Erfahrung zu sammeln – und dann das Familienunternehmen mit frischen, modernen Ideen weiterzuführen.

Auch Nicola und Gabriella haben drei Sprösslinge. Um den Fortbestand ihrer Fashion-Familie macht sich die noch kinderlose Giulia dementsprechend keine Sorgen. „Ich habe zwar noch keine Kinder. Aber wenn ich welche bekommen sollte, möchte ich, dass sie auf Hawaii leben und den ganzen Tag surfen“, erklärt sie schmunzelnd. Vater Paolo lächelt milde. Für ein paar schwarze Schafe wäre also auch noch Platz im Pecchioli-Clan.

 

Sportswear International
Ausgabe 283, 01-2018