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Reich sucht jung

Fashion

M_Nerdy, sein Nickname macht kein Geheimnis darum. Michael Miri – Dreadlocks und Designerbrille – ist ein echter Verrückter. Der junge Amerikaner mit asiatischen Wurzeln ist Sammler. Nicht irgendeiner, Michael sammelt Produkte, die aus Koop-Editions des US-Kultkabels Supreme stammen. Mit beachtlichem Ehrgeiz. Seine Sammlung gilt als eine der größten der USA. T-Shirts, Jacken, Basecaps, Sneakers, Hoodies, Sweatshirts, aber auch gebrandete Fahrradschlösser, Klappspaten, Brechstangen, Werkzeugkisten, Motorradhelme, Box-Säcke, Dominosteine, Fressnäpfe, Spardosen, Feuerlöscher, Aschenbecher und Backsteine, die mit dem rot-weißen Logo des Skatelabels versehen sind, stapeln sich in seinem Lager in Las Vegas. Youtuber Just Wynn ist heute zu Besuch und merklich beeindruckt – von den weitläufigen unterirdischen Räumlichkeiten und von Michael, der zu jedem Item eine kleine Anekdote zu erzählen hat. Stolz hält er beispielweise einen Schwamm in die Kamera und erklärt voller Überzeugung: „No one has it!“ Um ehrlich zu sein: eher unwahrscheinlich. Doch Just hinter der Kamera ist überzeugt und happy. „Uhh man, that’s insane. Superdope!“

Und tatsächlich, ein gewisses Suchtpotenzial scheinen die Produkte der insgesamt rund 200 Koops zu haben, die Supreme mit den verschiedensten Firmen umgesetzt hat. Denn Michael ist mitnichten der einzige Sammler, wenn auch einer der größten. Auf rund eine Millionen US-Dollar wird seine Kollektion geschätzt, aber das variiert, denn er verkauft auch an andere weiter. On the Arm heißt sein Store in Vegas. Der Rapper Travis Scott schaut regelmäßig vorbei. Zuletzt erstand er ein Sweatshirt für fünf Gran, sprich 5000 USD. Sample T-Shirts, die nicht in Produktion gegangen sind, bietet Michael sogar für stolze 20 000 USD an.

Die womöglich gut angelegt sind: Im Mai 2018 versteigerte Artcurial, ein renommiertes Auktionshaus in Paris nur wenige Schritte von den Champs-Élysées entfernt, 150 Supreme-Produkte. Darunter ein Koffer aus der ‚Supreme x Louis Vuitton‘-Collab, der für knapp 90 000 Euro den Besitzer wechselte. Ein in Serie produziertes T-Shirt gab es dagegen bereits für 1500 Euro, der ‚Supreme x Everlast‘-Boxsack kam für rund 20 000 Euro unter den Hammer.

SUPREME IS KING

Die Auktion bestätigte nur das, was die Szene ohnehin längst wusste: Supreme is king. In Sachen Collabs macht der Marke wirklich keiner etwas vor. Und das gilt schon ein rundes Jahrzehnt. Bis ins Jahr 2006 reicht die archivierte Historie zurück. Damals machte das Skatelabel unter anderem gemeinsame Sache mitdem Fotografen und Filmemacher Ari Marcopoulos, dem Künstler Jeff Koons, der Band Public Enemy und dem Outdoor-Spezialisten Timberland. The North Face, Vans und Oakley waren die nächsten, von dort aus arbeitete man sich sukzessive in noch höherpreisige Gefilde vor. 2009 verbündete Supreme sich erstmalig mit A.P.C., seit 2012 gehört auch Comme des Garçons zum engsten Freundeskreis. Dazwischen liegen unzählige Collabs mit Künstlern und Musikern, aber auch mit Produzenten aus den Bereichen Sport, Haus und Garten. Die Sammlung von Michael führt es vor Augen: Kein Produkt scheint zu abwegig, um von den New Yorkern für cool erklärt zu werden. Aber gerade die Liaison mit der High Fashion lockt Supreme offenbar immer wieder.

Die Zusammenarbeit mit Louis Vuitton im November 2017 setzt der bisherigen Serie die Krone auf. Dabei war Supreme-Gründer James Jebbia im Pariser Luxusmodehaus gut anderthalb Dekaden lang Persona non grata. Der Grund? 2000 erlaubte er sich, eines seiner Skatedecks mit einem Louis-Vuitton-Logoprint zu verschönern. Ein augenzwinkerndes Zitat, das auf den Logohype der Hip-Hop-Community anspielte. Doch die Franzosen waren ‚not amused‘ – die Unterlassungsklage flatterte Jebbia bereits zwei Wochen später ins Haus. Ende 2017 jedoch revidierte man bei LVMH seine Meinung. Dank der gemeinsamen Kollaboration – der ersten in der 160-jährigen LV-Firmengeschichte, die mit einem anderen Modeunternehmen zustande kam – prangte das Supreme-Logo auf Koffern und Rucksäcken, Hemden und Jacken des Pariser Luxushauses. Mit durchschlagendem Erfolg: Eines der limitierten Sweatshirts, das im Store für 600 Euro zu haben war, konnte im Wiederverkauf das bis zu Achtfache wert sein. Da verwundert es kaum, dass Finanzinvestoren aufhorchen. Vor einem Jahr kaufte die Washingtoner Carlyle Group 50 Prozent der Anteile von Supreme. Für sagenhafte 500 Millionen US-Dollar.

BIG LOVE

Die Annäherung von Streetwear und High Fashion ist ein Modephänomen, das momentan recht wilde Blüten treibt. Und scheinbar in den Himmel wächst. Die Collab von Supreme mit dem piekfeinen Pariser Luxuslabel dürfte nur ein vorläufiger Höhepunkt sein. Vermutlich hat man bei dem Skatelabel schon einen neuen Gespielen im Visier. Vielleicht einmal bei Céline anklopfen? Oder bei Herrn Lagerfeld? Der zeigt ja inzwischen auch Trackpants in seiner Kollektion, obwohl er sie zuvor noch verteufelte.

Designer wie Raf Simons und Hedi Slimane sind schon länger dafür bekannt, von Subkultur geprägte Straßenlooks auf den Laufsteg zu bringen. Sie verpassten Dior mit Punk- und Wavezitaten ein Facelift. Louis Vuitton wiederum profitierte von der Streetwear-Expertise eines Marc Jacobs und Kim Jones. Dennoch: Der Hype hat eine neue Qualität erreicht, und wer keine Collab-Anfragen bekommt, gerät heute schon fast zum bemitleidenswerten Eckensteher. Denn die anderen haben mit ihren wechselnden Partnern ja offenbar Spaß. Nike bändelte bereits mit Givenchy und der japanischen Marke Undercover an, Puma hatte schon mal was mit Hussein Chalayan. Adidas ist so umtriebig, dass man fast den Überblick verliert: Yohji Yamamoto, Jeremy Scott, Stella McCartney, Rick Owens und einmal ein Dreier mit Chanel und Pharrell Williams. Ach ja, das Moskauer Design-Wunderkind Gosha Rubchinskiy war auch mal dran. Aber der techtelt ja jetzt mit Burberry.

Die Motive sind nicht schwer zu durchschauen: Für die High Fashion ist die rotznäsige Devil-may-care-Haltung der Streetfashion attraktiv. Sie bekommt Einlass in den Club der Coolness und kann neue Zielgruppen erschließen. Das ist viel wert, ging in einigen Traditionshäusern doch bereits die Angst um, dass die zahlungskräftige Kundschaft so langsam vergreist. Die Streetwear fühlt sich im Gegenzug ernst genommen. Sie wird über den Qualitätsanspruch des Kooperationspartners geadelt und kann höhere Preise rechtfertigen. Die Türen zu den besten Stores der Welt öffnen sich so wie von selbst.

Augenscheinlich eine Win-win-Liaison. Beiden Partnern sind Glaubwürdigkeit und Imagepflege wichtig, beide lieben Statussymbole und schlagen auch gerne mal über die Stränge. Besiegelt wird die jeweilige Verbindung durch den Doppelnamen. Wenn sowohl LV als auch Supreme auf dem T-Shirt steht ist klar: Dieses Stück ist exklusiv u n d hip. Everything goes – das gilt nicht mehr nur für einen Look oder eine Rocklänge, sondern längst auch für Collabs und gegenseitige Zitate. Es ist zum Credo einer ganzen Branche geworden, die versucht, sich in immer schnelleren Zyklen selbst neu zu erfinden. Doch wird die Liebe von Dauer sein? Wird der Austausch nicht irgendwann austauschbar?

Ob diese Sorge berechtigt ist, scheidet die Geister. Die Gegner fürchten um die Glaubwürdigkeit der Streetwearmarken, ihr wichtigstes Kapital, und warnen vor dem Sell-out, dem Verlust der Coolness. Die Befürworter verweisen auf die Tradition. Denn Kollaborationen sind keineswegs ein neues Phänomen. In der Hip-Hop-Community und den Skate- und Surf-Gemeinden gehört der gegenseitige Support schon lange zum Lebensgefühl.

VORREITER UND NACHAHMER

„My Adidas“ – 1986 rappten Run DMC im Madison Square Garden eine Hymne auf ihre geliebten Sneakers und 40 000 Fans begleiteten die Geburtsstunde der ersten legendären Koop der Hip-Hopper mit dem Sportartikler aus Herzogenaurach. Neben Musikern gehörten auch Sportler zu den frühen Influencern jener Tage. Der damals noch unbedeutende Sportschuhhersteller Nike entwickelte 1984 für den NBA Neuling Michael Jordan einen Basketballstiefel. ‚Air’ Jordan wurde zum Weltstar – und mit seinen Slam Dunks stiegen die Umsätze bei Nike in bis dato unerreichte Höhen. Dennoch steckte das gemeinsame Entwickeln von Produkten noch im Beta-Stadium. Hier und da arbeiteten die Streetwearlabels der frühen Stunde mit Bands oder Künstlern zusammen, aber innerhalb der Branche kochte jeder lieber sein eigenes Süppchen.

Bis Supreme kam: Der junge Engländer James Jebbia hatte seine Brötchen zunächst in einer Stüssy-Boutique im New Yorker Stadtteil Soho verdient. Shawn Stüssy, der sein Surflabel in den frühen 1980ern im kleinen Westcoast Städtchen Laguna Beach gegründet hatte, gilt als einer der Urväter der Streetwear und diente den jungen James als Vorbild. Als Jebbia 1994 ein Ladenlokal auf der benachbarten Lafayette Street fand, tat er es Stüssy gleich und machte sich selbstständig. Der Supreme-Store entwickelte sich zum Treffpunkt, die Marke zum lokalen Kult, doch das WWW steckte noch in den Kinderschuhen, und so wuchs das Label zunächst langsam. Im Gegensatz zu anderen Brands jener Tage: Cross Colours, Mecca, Pelle Pelle, Ecko, Fubu, Wu Wear, Phat Farm – die Liste der neu gegründeten Marken, die nicht selten den Reihen der Community selbst entstammten und Mitte der Neunziger den riesigen Bedarf der zum Mainstream gewordenen Hip-Hop-Bewegung deckten, ist lang.

Doch die Goldgräberstimmung und der daraus resultierende Hype führten bald zur Übersättigung des Marktes. Die Protagonisten der Rap-Szene, inzwischen internationale Stars, kleideten sich lieber in prestigeträchtige europäische Namen, die Erfolg und Wohlstand einer Elite repräsentierten, zu der den meist schwarzen Musikern der Zutritt zuvor verwehrt schien. Marken, die mit Jugendkulturen allgemein und Hip-Hop im Besonderen nicht viel am Hut hatten. Prada, Gucci, Dior, Chanel, Hermès und Louis Vuitton waren bis dato schlichtweg traditionsreiche Designerbrands, die hochwertige Kleidung und Accessoires für eine zahlungskräftige Klientel entwarfen. Dass ein T-Shirt für einen dreistelligen Betrag über den Tresen ging, das kannte man dort. Aber Boxsäcke und Backsteine?

Ein Traum, den die Marketingexperten der großen Modehäuser zunächst nicht zu träumen wagten und der bei Supreme doch wahr wurde. Das haben längst auch jüngere Kollegen zur Kenntnis genommen. Wie die High-Fashion-Linie Vetements, die sich ähnlich kollaborationsfreudig wie Supreme zeigt, wenn auch etwas selektiver. Das von dem Georgier Demna Gvasalia ins Leben gerufene Label zapft mit Vorliebe die spezifische Expertise seiner Partner an, darunter Carhartt, Reebok, Umbro und Champion, um das gemeinsame Kind dann mit dem High-Fashion-Zeugnis auf den Laufsteg zu schicken. Und auch dieses Modell scheint sich für beide Seiten zu rechnen.

Sporty Looks zu hohen Preisen – eine Fashionformel, die sich auch Virgil Abloh zu eigen gemacht hat. Der studierte Architekt kommt aus dem Dunstkreis des geschäftstüchtigen Kanye West und gründete 2013 seine Label Off-White. Er erklärte seine Streetwear kurzerhand zu High Fashion und hatte das Glück und die Marketingkompetenz, damit durchzukommen. Die Models auf seiner Womenswear-Show Herbst/Winter 2016 in Paris sahen aus wie Millionärstöchter, die mit ihrem Skaterfreund durchgebrannt sind: Sie trugen Sneaker zu Corsagenkleidern, kombinierten Graphic-Print-T-Shirts zu bodenlangen Plisseeröcken. Begrüßt hatte Abloh sein Publikum mit dem Claim „You’re obviously in the wrong place“, einem Zitat aus dem Film ‚Pretty Women‘, und so sein Außenseitertum herausgestellt. Mit seinem Engagement als Designer für Louis Vuitton hat sich sein Status nun verändert. Die Exklusivität der großen Häuser zu unterwandern und den Zugang zur Mode zu demokratisieren, das waren einst Ablohs erklärte Ziele. Durch die fortschreitende Digitalisierung scheint sich beides zunehmend zu erledigen.

WORLD WIDE WEB

Tatsächlich hat die virale Verbreitung von Trends die Modewelt revolutioniert. Noch nie wurden neue Styles so schnell einer breiten Masse zugeführt wie in Zeiten von Instagram und Pinterest. Nahezu alle gängigen Vermarktungsmodelle funktionieren mit digitaler Technologie. Für Sneakerheads, die gespannt auf den nächsten ‚Drop‘ warten, gibt es Sneaker-Reserving-Apps und Count Down Clocks, die den Zeitpunkt des Launches rechtzeitig ins Gedächtnis rufen. Die Auktionen der Reseller, der Wiederverkäufe limitierter Editionen, wären ohne die entsprechenden Internet-Plattformen undenkbar. Der Streetfashion-Hype dieser Tage, er ist ein Kind der Digitalisierung.

Die, die ihn weiter schüren, Supreme & Co., agieren ‚streetwise‘. Limitierte Editionen sollen dem Verlust der Glaubwürdigkeit entgegenwirken, ein selbstbestimmter Online-Handel verhindert, dass die Produkte unsexy verramscht werden. Doch wird die Rechnung aufgehen? Investoren wie die Carlyle Group oder LVMH werden schließlich keine Zeit mit Marken verschwenden, die für immer Kult bleiben wollen. Zwar hat man, wie ein Sprecher der Carlyle Group verlauten ließ, „großes Vertrauen in die seit Jahrzehnten etablierte Glaubwürdigkeit“ und sieht offenbar keine Gefahr darin, diese Credibility auf andere Produkte auszuweiten. Dennoch währt ja bekanntlich nichts ewig

Birkenstock erlaubte sich jüngst den Luxus, eine Kooperationsanfrage von Supreme dankend abzulehnen. Und der Designer Raf Simons erklärte in einem Interview mit i-D gar die Streetfashion kurzerhand für tot. Aber immer noch steht Aussage gegen Aussage. Laut Emma Hope Allwood, Fashion Features Editor beim Dazed Magazine, sind im Moment die LV-Monogramm-Taschen mit den aufgedruckten Supreme-Logos deshalb so cool, weil sie den Fälschungen der asiatischen Straßenmärkte ähneln. Fake-Bootleg? Also die gefälschte Fälschung zum Originalpreis?

Zugegeben, das klingt absurd, aber ein gewisses Maß an Absurdität wird in der Modewelt nicht selten gebilligt, wenn nicht sogar freudig begrüßt. Davon zeugt auch die Geschichte von Dapper Dan. Der New Yorker Schneider hatte in den 1980ern Stoffe mit den Logoprints der großen europäischen Luxusmodehäuser aufgetrieben und sie zu plakativen Fashionstyles verarbeitet – wurde jedoch 1996 von Gucci, Fendi und Louis Vuitton verklagt. Nun die späte Rehabilitation: Im Rahmen einer Capsule-Kollektion zeigt Gucci-Mastermind Alessandro Michele in diesem Herbst Entwürfe, die vom Stil des legendären Schneiders beeinflusst sind. „Dapper Dan“ prangt jetzt in großen Lettern auf den ikonischen Gucci-All-Over-Prints. Schon verrückt.

Sportswear International
Ausgabe 287, Winter 2019